Grandiose Tiefblicke in die Zivilisation
... Bericht von unserem Durchsteigungsversuch der Eigernordwand im
Januar 2006.
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Back from Eiger - Durchstieg nicht gelungen. Wie das Wetter in
diesen Tagen, oben blau und unten grau, so präsentierten sich die
Verhältnisse in der Wand. Unten eine unendliche Plackerei in
hüfthohem Schnee, zugedeckten Sicherungspunkten, Routensuche und
eingefrorenen Ständen. Am Hinterstoisser mussten wir das Querseil
teilweise aus dem Eis pickeln. Das alles hat viel, zu viel Kraft gekostet. Vor
dem Point-Of-No-Return, musste ich einen schweren Entscheid treffen:
Rückzug! Meine Batterien waren nicht leer, jedoch auch nicht mehr
genügend gefüllt für den oberen Wandteil. Das war hart, aber in
dieser Wand werden Fehler kaum verziehen. Soll ich nun enttäuscht sein? -
Ja, natürlich bin ich es, aber es gibt auch eine positive Seite: Ich war
der Wand in technischer und mentaler Hinsicht gewachsen und es war ein
Wahnsinns Erlebnis. Ich bin aber auch froh, gesund aus der Wand zu sein, um
eine Erfahrung reicher.
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Endlich, es ist soweit!
Im Januar 2006 stehen die Sterne endlich richtig, mehr als fünf
Jahre haben wir auf diese Konstellation gewartet. Ein stabiles Hoch über Zentral
Europa verdrängt jede Wolke, tagelang tiefblauer Himmel und anhaltend kalt. Meine
körperliche und psychische Verfassung ist exzellent und mein Seilpartner Roger
Schäli hat Zeit für einen Durchstieg. In der Wand herrschen, soweit wir das
beurteilen können, gute Verhältnisse. Es scheint jedoch, dass im neuen Jahr
2006 noch keine Seilschaft eingestiegen ist, wir können jedenfalls keine Spuren
sichten.
Klassische Heckmair Route am Eiger - Unsere Route!
Die Nacht vor einer grossen Tour ist für mich immer das
Schlimmste. Auch wenn ich ruhig und konzentriert auf den Punkt bin, so finde ich keine
innere Ruhe mehr. Ich drehe mich im Bett hin und her und allerlei Notwendiges und
Unnötiges geht noch durch den Kopf. Man fiebert dem Ereignis entgegen und wartet auf
das Schrillen des Weckers, der einem eigentlich aus dem Tiefschlaf holen sollte. Im Falle
der Eigertour konnte ich den Wecker um 04:30 vor der Weckzeit abschalten, ich hatte eine
schlaflose Nacht hinter mir.
Die Fahrt in die Arena
Die komfortable Fahrt in einem geheizten, modernen Wagen der
Jungfraubahn ist für mich schon etwas eine groteske Situation und erinnert mich an
römische Gladiatoren, welche vor ihrem finalen Kampf noch eine letzte Ölung
erhielten. Über uns die kalte, abweisende Wand, bedeckt mit Eis und Schnee und wir -
wir sitzen auf gepolsterten Sesseln und lassen uns in die Arena chauffieren. Die drei
warmen Kleiderschichten bestehend aus atmungsaktiver Unterwäsche, darüber ein
Polarfleeche und zuoberst eine Softshell Jacke lassen meine Schweissdrüsen auf
Hochtouren arbeiten, obwohl ich auf keinen Fall jetzt schwitzen möchte. Es ist mir
sehr wichtig trocken an den Einstieg zu gelangen. Endlich können wir den
«Schwitzkasten» auf der kleinen Scheidegg verlassen, hier oben ist es deutlich
wärmer als unten in Grindelwald.
Oft wird diskutiert wo die Eigernordwand eigentlich beginnt.
Bekanntlich kann man den Zug Richtung Jungfraujoch nehmen, und den Zugführer
bitten, beim Stollenloch anzuhalten. Damit hat man im «Liegesessel» die
Kletterstrecke um etwa vier bis fünfhundet Meter verkürzt.
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Morgenstimmung bei der Station Eigergletscher
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Doch dies ist nicht der alleinige Grund: Im Sommer ist der untere Teil
dem Steinschlag ausgesetzt, man befindet voll in der Schusslinie der pfeifenden Steine
und manche Seilschaft hat schon hier ein jähes Ende gefunden. Doch dieses Problem
stellt sich für uns nicht, die Wand ist erstarrt in Eis.
Glückliche Momente
Aufgrund meiner guten körperlichen Verfassung entschliessen wir
uns für einen Einstieg von ganz unten, oder wie Roger auf die Frage eines
Bergführerkollegen, weshalb wir den im Winter von unten einsteigen lakonisch
antwortet: «Die Wand beginnt eben UNTEN».
Der Zustieg führt an einem sanft geneigten Abhang entlang
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Im ersten Tageslicht finden wir eine hartgetretene Spur, die zum
Einstieg führt. Noch haben wir die Hoffnung, dass bereits jemand eingestiegen
ist und eine Spur gezogen hat im unteren Wandteil.
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In diesem Moment ist endlich meine Anspannung verschwunden und ich
freue mich auf das «Abenteuer Eiger». Nach all den Ankündigungen zu gehen,
den Abbrüchen und Abwägungen, der Zeit des Abwartens auf günstige
Bedingungen ist es also nun endlich soweit. Glücklich stapfe ich hinter Roger her,
mit dem ich letztes Jahr meinen bisherigen alpinen Höhepunkt erreicht hatte, der
«Bezwingung» des Eisfalles Crack Baby an der Breitwang Fluh ob
Mitholz/Kandersteg.
Wenn ich mich zurück erinnere an den initialen Moment
für meine alpine Leidenschaft vor fünf Jahren, der TV Sendung Eiger Live,
so erfüllt mich nun auch Stolz hier zu stehen, mit guten Chanchen den Gipfel
zu erreichen. Vor fünf Jahren war dies noch ein Hirngespinnst, das nun aber
langsam und stetig Formen angenommen hat und Realität wurde.
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Martin, kurz vor dem Einstieg, im Hintergrund die Kleine Scheidegg
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Wühlmäuse
Abrupt endet die hart getretene Spur beim Einstieg und hüfthoher
Pulverschnee erwartet uns. Ein kurzer, etwas banger Blick ins Gesicht von Roger zeigt
mir, dass es nicht das ist, was er sich wünscht. Die Gefahr, dass wir uns hier
«verheizen» ist gross. Wer schon einmal Schnee getreten hat der über die
Knie hinausreicht, der weiss welch Mühsal das ist. Zudem erwartet uns hier sehr
steiles Gelände, im Fachjargon auch «Absturzgelände» genannt, da eine
Sicherung unmöglich ist. Das Seil von Roger zu mir hat eher psychologischen
Charakter, da es sich ein Bergführer nicht erlauben darf, seinen Gast ungesichert zu
lassen. Wie wissen aber beide genau, dass diese Sicherung wertlos ist und ein
Mitreiss-Sturz für beide fatal ist.
Hei Roger - isch das a Chrampf!
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Wie Wühlmäuse kämpfen wir uns durch den Schnee.
Stufe um Stufe wird überwunden. Von unten hat man den Eindruck, dass gar nicht
viel Schnee auf diesen Bändern liegt, von oben erkennt man aber dann die
Badewannen, gefüllt mit lockerem Pulverschnee.
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Als Erleichterung haben wir unsere Rucksäcke der Jungfraubahn
mitgegeben, eine gute Seele hat sich bereit erklärt, beim Stollenloch anzuhalten und
diese dort auszuladen. Also - auch unser Durchstieg ist nicht vollkommen
«clean», ja nun was soll's.
Ich versuche nicht zu schwitzen ... unmöglich, trotz
relativ langsamen Aufstieg bin ich am Körper nass, etwas das ich unbedingt
verhindern wollte.
Oft müssen wir beide stillstehen um zu pinkeln. Wir haben
bereits am Vortag und während der Fahrt nach Grindelwald viel getrunken. Der
Körper kann leider diese Flüssigkeit nicht aufnehmen und meldet sich mit
einem Druck auf der Blase.
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Erst von oben erkennt man die Schneemassen, welche wir niedertreten
müssen.
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Die Anstrengung ist gross, leichter wäre es, über die
Felsriegel aufzusteigen. Dies ist aber schlicht zu gefährlich, da man in diesen
abwärtsgeschichteten Platten keine Sicherung anbringen kann. So suchen wir uns immer
wieder ein Schlupfloch um die Felswülste an der leichtesten Stelle zu
überwinden. Immer wieder bewundere ich Roger, der es mit Leichtigkeit schafft, im
Vorstieg und mit Steigeisen solch tückische Stellen zu meistern.
Verflixt - wo ist mein Getränke
Rucksack?
Trotz diesen misslichen Verhältnissen erreichen wir das
berüchtigte Stollenloch im vorgesehenen Zeitrahmen. Ich fühle jedoch bereits
hier eine gewisse Müdigkeit - und das bereits jetzt wo die Tour doch erst so richtig
beginnt. Ich mache mir etwas Sorgen, ohne dies mir aber anmerken zu lassen.
Ein Bergführer hat mir einmal erklärt, dass sich
Unfälle meist vorankündigen. Kleine Sachen laufen schief und kumulieren
sich dann langsam zum Super Gau und es kommt zum Unfall.
Ich denke an diese Worte nach der Plackerei zum Stollenloch und
der dringend nötigen Flüssigkeit, die nun nicht hier ist.
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Unser Getränke Rucksack wurde nicht ausgeladen, wir haben nur wenig zu
trinken
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Ab jetzt gilt es, die recht schweren Rucksäcke zu tragen und in
Steigeisen im fünften Grad zu klettern. Die beiden Seillängen des Schwierigen
Risses erwarten uns.
Climbers in the Wall
Ich habe mir sagen lassen, dass es auf der kleinen Scheidegg eine
Touristenanzeige geben soll, mit der Aufschrift «Climbers in the Wall». Ich
weiss nicht ob dies auch heute noch so ist, oder ob die Faszination Eigernordwand nun
auch bei Touristen etwas abgeblasst ist und man darauf verzichtet. Trotzdem - man
fühlt sich zwar einsam mit den Elementen der Wand, aber man wird dauernd beobachtet
in dieser vertikalen Arena.
In regelmässigen Abständen kreisen Helikopter über
unseren Köpfen und Flugzeuge passieren die Wand in engem Abstand.
Roger, mit Steigeisen kletternd in abwärtsgeschichtetem Fels
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Zudem kreist heute dauernd, wie ein Geier, im oberen Wandteil ein
roter Punkt mit drei Rotoren über uns.
Bedingt durch die konkave Form der Wand entsteht dadurch ein
ohrenbetäubender Lärm und wir können uns oft kaum verständigen.
Ich versuche diese Störefriede aus meinen Gedanken auszublenden.
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Das Klettern in Steigeisen in diesen abwärtsgeschichteten Platten
stellt hohe Anforderungen. Vorallem im Vorstieg braucht es dazu eine hohe
Konzentrationsfähigkeit. Roger sucht über sich gute Risse um wenigstens ab und
zu eine verlässliche Sicherung in Form eines Friends zu legen.
Auf den Frontzacken balancierend sucht Roger den Weg nach oben. So gut
es geht, legt er nahezu jeden Meter eine mehr oder weniger gute Sicherung.
Hier ist ein rasches Aufsteigen unmöglich, die Sicherheit
steht im Vordergrund und die Kletterei gleicht einem «Eiertanz» ... wie
viele Eier werden wir wohl dabei zertreten?
Meine Konzentration gilt zu 100% der Sicherung, nichts kann mich
abhalten auch der berauschende Tiefblick nach Grindelwald nicht.
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Hei Roger - isch das en Eiertanz!
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Ein Blick zur Seite, zeigt aber, dass wir stetig steigen. Wir haben
uns dazu entschieden, dass Roger ohne Rucksack vorausklettert. Am Stand angelangt
lässt er die Reepschnur zu mir hinunter und ich befestige seinen Rucksack daran.
Dann folgt ein Kraftakt, um den Rucksack hochzuziehen, oft verkeilt sich der Rucksack und
erst nach mehreren Versuchen verschwindet er aus meinem Blickfeld nach oben.
Blick zur Roten Fluh aus unserer Route
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Auf dem Bild erkennt man unsere gekletterte Line, im Hintergrund die Rote Fluh.
Wir haben uns dazu entschlossen mit einem Halbseil zu klettern und eine 60m
lange 7mm Reepschnur nachzuziehen. Diese wird zum abseilen benötigt. Dadurch
ist die Gefahr eines «Seilsalates» viel kleiner.
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Etwas habe ich hier gelernt, Abseilen mit unterschiedlich dicken Seilen
mit dem Vario Controller («Körbli») ist extrem gefährlich. Das
dünne Seil rutscht ohne Reibung durch den Vario Controller, während das dicke
Seil, bedingt durch die grössere Reibung stillsteht. Was dabei passiert ist klar:
Man zieht das Seil von links nach rechts (oder rechts nach links) durch den Abseilhaken.
Irgendwann erreicht man das Ende des dünnen Seils, und man seilt sich aus dem Seil!
Ich habe diese Gefahr beim Abseilen sofort erkannt und mit aller Kraft versucht beide
Seile gleichmässig durch das Abseilgerät laufen zu lassen. Das erfordert sehr
viel Klemmkraft, da man nun versuchen muss, beide Seile gleichmässig durch den Vario
Controller laufen zu lassen. Ein andere Möglichkeit wäre es, dass dünne
Seil unten zu befestigen, so dass es nicht durchgezogen werden kann. Mit dem Abseilachter
stellt sich dieses Problem nicht, da hier die Reibungskraft nicht für beide Seile
separat erzeugt wird.
Eingefrorenes Querseil
Auch der Nachstieg mit dem Rucksack am Rücken ist sehr
anstrengend, ich schwitze ob ich will oder nicht. Das Herausgrübeln der gut
plazierten Friends gelingt mir nicht immer, ein Exemplar weigert sich standfest, wir
müssen ihn stecken lassen. Er ist so gut gesetzt, dass ich ihn nicht mehr aus der
Ritze befreien kann.
Martin, der Materialträger im Nachstieg auf einer Eispartie
Am Hinterstoisser Quergang angekommen, stellen wir fest, dass das Querseil teilweise
unter Eis und hart gefrorenem Schnee eingeklemmt ist. Ein Queren ohne Sicherungsseil ist
hier unmöglich.
Nur mit einer Quersicherung wäre das viel zu riskant, da ein Pendelsturz an einem
30m waagrechten Seil mit Steigeisen, Pickel und Rucksack nicht zu verantworten ist.
Zum Glück ist das Querseil in sehr gutem Zustand, es wurde wohl diesen Herbst neu
angelegt. Vorsichtig hacken wir das Seil teilweise etwas aus, um sich dann beim Queren
stellenweise daran zu sichern.
Martin quert den Hinterstoisser Quergang, erkennbar ist das eingefrorene Querseil.
Der Hinterstoisser Quergang ist benannt nach dem Berchtesgadener Bergsteiger
Andreas Hinterstoisser, welcher am 18. Juli 1936 die Stelle mittels der Technik des
Seilzugquergangs meisterte.
Bekanntheit erlangte der Quergang durch den Erstbesteigungsversuch der Deutschen
Hinterstoisser und Toni Kurz und der Österreicher Willy Angerer und Edi
Rainer. Nachdem die vier den Quergang an Hinterstoissers Seil passiert hatten,
zogen sie das Seil ab, was ihnen später den sicheren Rückweg versperren
sollte. Sie kamen nur bis zum Todesbiwak und beim Abstieg am 21. Juli versuchten
sie dann, sich hundert Meter abzuseilen.
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Das Bild wird mir wohl noch das ganze Leben in Erinnerung bleiben. Welch ein
Tiefblick, was für eine Wand!
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Dabei wurden drei Bergsteiger durch Steinschlag/Lawinen getötet,
nur Toni Kurz konnte den weiteren Abstieg fortsetzen. Er verstarb mit den Worten:
«Ich kann nicht mehr» drei Meter über den Rettern an
Erschöpfung - der Karabinerabseilsitz verklemmte sich im Knoten, der zwei Seile
verband.
Schwieriger Entscheid
Im Schwalbennest angekommen, das ich unter grosser Müdigkeit
erreiche, bitte ich Roger um eine Pause. Ich bin ausgepumpt. Im September 2000 war ich
bereits einmal mit Stephan Siegrist hier, damals frisch und putz munter. Wir
hatten trockene Verhältnisse und die Steigeisen waren die meiste Zeit am Rucksack.
Die Kletterei ging damals viel leichter. Obwohl ich vor fünf Jahren nie das heutige
Niveau aufwies bin ich heute sehr viel mehr müde - ja angeschlagen.
Ich bespreche die Situation mit Roger, er hat wenig von meiner
Erschöpftheit mitbekommen. Immer war ich rasch, vielleicht zu rasch nachgestiegen,
denn wir lagen an dieser Stelle gut im Zeitplan. Roger kann es zuerst gar nicht glauben,
dass ich vom Aufgeben spreche, er ermuntert mich - kommen nun doch endlich gute
Verhältnisse. Ja, das 1. Eisfeld sieht wirklich eindrücklich und gut aus,
teilweise blankes Eis und gefrorener Schnee, ideal um rasch hochzusteigen. Nichts in der
Welt wünsche ich mir nun so sehr wie körperliche Frische, welch ein Genuss
wäre es nun hochzusteigen!
Doch lässt meine Müdigkeit diesen Schritt zu? - ich zweifle,
wäge ab, erkundige mich. Man muss sehen, dass wir hier keinen Marathon absolvieren,
bei dem man jederzeit den «Blinker nach links oder rechts stellen kann». Es
gibt keinen Besenwagen, der die Erschöpften einsammelt und in warme Decken wickelt -
wir sind auf uns und unser Können und unsere körperliche Verfassung allein
angewiesen. Ich denke nun intensiv an den roten Heli, der heute den ganzen Tag über
uns schwebte - will ich wirklich an die Longline eines solchen Rettungshelis? - nein
sicher nicht, das kommt nicht in Frage.
Ich habe selten aufgegeben in den Bergen und manchmal auch schon etwas
zu viel riskiert.
Martin, von Müdigkeit gezeichnet
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Wäre das Ziel, der Gipfel, in Reichweite eines 1/2 Tages,
ich würde es riskieren und mich durchbeissen, etwas das ich gut kann wenn ich
sehe dass es zu packen ist.
Heute fehlt zu viel, ein Weitersteigen wird Roger und mich in
grosse Gefahr bringen, meine innere Stimme sagt klar und deutlich: Stop!
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Wir verharren noch still während 10 Minuten, um den Entscheid zur
Aufgabe nicht überstürzt zu fällen. Ich weiss, wenn ich mich jetzt
entscheide abzusteigen, so darf ich es mir nicht nach fünf Metern wieder anders
überlegen, entschieden ist entschieden und es darf keine Reue aufkommen, das bin ich
mir bewusst.
Die Vernunft siegt und ich entscheide mich - Rückzug!
Auch jetzt, bald eine Woche nach dem Eigerabenteuer frage ich mich
natürlich, ob es richtig war abzubrechen. Ja, es war der einzig richtige Entscheid,
ich hätte es nicht geschafft. Man kann eine Niederlage immer von zwei Seiten
betrachten, als Versagen oder als Lebenserfahrung. Natürlich ist die
Enttäuschung gross, nichts hatte ich mir sehnlicher gewünscht als meinen
Bubentraum nun zu erfüllen. Doch ich sage es ehrlich, das Positive überwiegt,
diese Tour, die Freundschaft mit Roger, der Erlebte ist wunderbar. Wer kann schon so
etwas erleben? - dies ist sehr wenigen Personen vorenthalten, also Kopf hoch und nach
vorwärts schauen - Life is going on!
Oberdiessbach, 11.01.2006, Martin Zahn
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