Crack Baby - was für ein Name ...
... everyone knew his father peddled drugs and his mother smoked rock,
so they called him «crack baby».
Extremklassiker (340m, WI 6), erstbegangen 1993 durch
die Eiskletterlegende Xavier Bongard sowie Michael Gruber.
Bericht dazu im
«Berner Oberländer» am 26.01.2005 (PDF)
Breitwandfluh
Nachdem ich mich an verschiedenen kleineren Eisfällen wieder an
das mystische Medium Eis herangetastet hatte und mich im Vorstieg ohne Handschlaufen
immer besser zurechtfand war es an der Zeit eine wirklich grosse Route in Angriff zu
nehmen - Crack Baby!
Die Breitwandfluh (talabwärts auf der rechten Seite oberhalb von
Kandersteg-Mitholz, gegenüber dem Ärmighorn) zählt auch heute noch
weltweit zu den besten Eisklettergebieten von Europa.
Breitwandfluh mit Route Crack Baby im letzten Abendlicht.
Schon beim Anblick der Route Crack Baby (Kletterlänge 300m,
oberer Teil konstant senkrecht und teilweise akrobatisch an Zapfen) läuft es einem
etwas kalt über den Rücken herunter.
Um 05:15 treffe ich Roger Schäli, einen jungen
Bergführer aus Interlaken. Für mich ist klar, dass ich Crack Baby nur mit
einem erfahrenen Eiskletterer in Angriff nehmen kann.
Noch bei Dunkelheit besteigen wir in Mitholz die kleine
Transportbahn der Familie Wandfluh, welche uns auf die Alp unterhalb des
Ärmighorns bringt. Es ist gespenstisch in der Dunkelheit an Baumwipfeln
vorbeizugleiten, das Tragseil ist knapp erkennbar, ich denke kurz an die Technik
und hoffe dass sie hält. Auf der Alp ist es still, die Sennhütten liegen
friedlich verstreut, kein Mensch weit und breit.
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Roger Schäli
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Für uns wird klar, dass wir heute beste Bedingungen für den
Crack Baby Durchstieg vorfinden werden, die Temperatur liegt bei etwa -5 Grad und
schönstes Wetter ist angekündigt, doch noch ist es stockdunkel. Im Schein der
Stirnlampen schnallen wir uns die Schneeschuhe an, dann geht es los Richtung
Breitwandfluh, von der wir erst die Konturen erkennen.
Einstieg bei Tageshelle
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Roger schlägt ein moderates Tempo an, es macht keinen Sinn
jetzt zu hetzen und am Einstieg verschwitzt anzukommen und dann zu frieren, ich bin
ihm dankbar dafür.
Nachdem jeder von uns noch sein "Geschäft" hinter einem
Felsblock erledigt hat, bereiten wir uns auf den Durchstieg vor. Jeder nimmt einen
kleinen Rucksack mit und packt die notwendigsten "Überlebens Utensilien" ein,
dazu zählt auch eine Daunenjacke um am Stand weniger zu frireren. Dazu kommen
1/2 Liter Tee und ein Schoggiriegel, mehr liegt nicht drin. Natürlich kommen
Apotheke und Natel noch dazu.
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Die ersten Seillängen
Beim ersten Tageslicht geht es los, wir sind heute ganz allein
an der Breitwandfluh und das bei besten Verhältnissen.
Das Eis ist etwas splittrig, die erste Seillänge jedoch
noch moderat gestuft. Roger klettert gleich zwei Seillängen, so dass das 60m
Seil nicht ganz ausreicht und ich deshalb als "kletternder Sicherungsmann" die
Sicherung von ihm übernehme.
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Blick in den unteren Teil der Breitwandfluh
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Diese Sicherungsart funktioniert gut, allerdings ist dies nur im
"leichteren" Gelände zu empfehlen. So gewinnen wir Zeit und sind bald 70m über
dem Einstieg in einer kleinen Höhle.
Dr Materialträger - Tinu Zahn
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"Hallo Martin, gut gemacht" - das sind immer wieder motivierende
"Gesten" von Roger.
Dies ermuntert einem und kann Bärenkräfte
auslösen. Roger gibt Vollgas, ich komme kaum zum Verschnaufen. Das
eingesammelte Material wird vom "Materialträger = Nachsteiger" zum
Vorauskletternden umgehängt. Dieses Prozedere wiederholt sich immer wieder bei
jedem Stand und muss trotz Routine mit grosser Konzentration durchgeführt
werden um kein wertvolles Equipment zu verlieren.
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Der mittlere Teil
Langsam "stellt" sich die Wand vor uns auf und Roger muss die
Standplätze so auswählen, dass ich nicht im Eishagel erschlagen werde,
während er vorsteigt. Dies ist nicht immer ganz einfach, da der Eisfall nicht
besonders breit ist und im Fels ausserhalb des Eises nicht gesichert werden kann. Man
findet also in einer solchen Route keine "bombenfesten Haken" a là Sportkletter
Routen. Die Stände werden jedes Jahr neu im Eis mittels Reepschnüren angelegt.
Teilweise findet man aber auch Stände in den Eishöhlen des Eisfalls, dort sind
in der Regel Bohrhaken vorhanden.
Hei Roger - isch das nid eifach geniau!
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Einige Standplätze befinden sich gut geschützt vor
Eisschlag nahe am Fels in Eishöhlen. Dabei kann man oft die wunderbare Welt
der Eisformen von unten bewundern und geniesst die luftige Höhe durch ein
Eisfenster - welch eine Welt!
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Im zweiten Drittel der Route müssen wir uns von den
Rucksäcken trennen, zu schwer wird die Route. Im letzten Comfortstand hängen
wir diese an einen Haken, ab jetzt geht's zur Sache und die wärmende Daunenjacke
für die Standsicherung fällt weg.
Ehrlich - ich muss beim Sichern manchmal wegschauen wenn sich
Roger an filigranen Zapfen hochzieht. Nur noch selten darf der Eispickel
eingeschlagen werden um die Zapfen nicht abzuschlagen. Roger hängt die Spitzen
der Pickel in Eisritzen ein und zieht / stemmt sich hoch ... und dies alles bei
mehr als 100m Luft unter dem Hintern ... und tatsächlich: es funktioniert!
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Akrobatische Seillänge im hängenen Eis
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Das Einschrauben der Eisschrauben, die hier nun in engen
Abständen gesetzt werden müssen, gleicht einem Hochseiltanz - wie eine Spinne
hängt Roger an einem Pickel, die Steigeisen links oder rechts an einem Zapfen
abgestützt - mir wird schwindlig!
Der letzte Teil - senkrecht und unendlich
Auch als Nachsteiger muss ich in den akrobatischen Seillängen
"alles geben" - meine Konzentration ist vollkommen auf einen Umkreis von zwei Metern
beschränkt - jetzt nur nicht abheben. Gott-Sei-Dank habe ich hunderte, wenn nicht
tausende von Klimmzügen im Fitnesscenter Input trainiert. Auch wenn die Wadenmuskeln
brennen vom stundenlangen Frontzackenstehen, fühle ich mich der Sache doch
gewachsen. Aber meine Hochachtung gilt Roger - meinen Vorsteiger!
Roger beim Hochtasten an filigranen Zapfen
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Was unsere Klettervorfahren für unmöglich gehalten
haben ist heute auch dank dem sehr guten Material - gepaart mit einer exzellenten
körperlichen Fitness möglich geworden.
That's THE Crack Baby!
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Im obersten Teil der Route nimmt das akrobatische Eisklettern wieder
ab - doch senkrecht bleibt's und das uneeeeeeeeeeendlich! Um Zeit zu gewinnen,
überspringen wir immer eine Seillänge, das heisst Roger klettert die gesamten
60m am Stück. Machen wir also mal die Rechnung: 14 Eisschrauben auf 60m ergibt einen
"Hakenabstand" von .... 4.3m ... und das im absolut senkrechten Eis. In besonders
schwierigen Passagen muss Roger etwas näher schrauben, so dass 5 - 6m Abstände
normal werden. Ein Abgang hätte also eine Sturzhöhe von 12m zur Folge. Am Abend
im Seilbähnli unterbreite ich Roger diese Milchbüchlirechnung - dazu Roger: "ja
an ein Aushebeln darf man einfach nicht denken".
Stemme, zieh, drücke, heble, riggle, chlemme, usdräie,
überchrüze, spreize ... auch beim Eisklettern befindet man sich im
Sportkletter Jargon.
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Martin Zahn mit viel Luft unter dem Hintern
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Mir fällt auf, dass sich die Berge rund um uns langsam
rötlich färben - ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Tag langsam zur
Neige geht - schaffen wir die Route noch? Ich fühle mich immer noch gut und fit und
möchte jetzt auf keinen Fall abbrechen - also nochmals Vollgas und Durchstarten!
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In der letzten, langen Seillänge verheddert sich das Seil
beim Seilausgeben. Zum Glück erreicht Roger den Ausstiegesstand und ich kann
nachsteigen - Schwein gehabt!
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Je höher wir steigen desto stärker wird der Eisregen, der
auf uns herabprasselt. Der Wind bläst den Kristallschnee in Gipfelnähe
über die Flanken und über den Abgrund hinaus direkt auf uns herunter. Manchmal
muss ich kurze Zeit beide Augen schliessen, derart nebelt es mich ein.
Die Schatten werden länger - der Tag neigt sich dem Ende
entgegen und überglücklich erreichen wir im Eisregen das Top der
Route.
Nach etwa einer Stunde Abseilen an Eissanduhren erreichen wir
kurz vor Dunkelheit wieder festen Boden und ich kann die Route in ihrer ganzen
Länge noch auf der Digitalkamera verewigen.
Roger - Herzlichen Dank für dieses
"Lebens-Erlebnis", für mich unwiderruflich in den Hirnwindungen
gespeichert.
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Photo Gallerie Crack Baby - Breitwandfluh, 14.01.2004,
Roger Schäli / Martin Zahn
Hier noch die gesamte Photogallerie (Achtung die Photos sind
teilweise sehr gross!)
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