Durchsteigung der Ebenefluh «Äbeniflue» ...
... oder wo (deutsche) Kampfjets mittlerweile für Nordwandbezwinger
eine Gefahr darstellen.
NZZ vom 13.04.2007: «Ein Tornado-Kampfflugzeug der deutschen Luftwaffe ist am
Donnerstagnachmittag im Berner Oberland zwischen Äbeniflue und Mittaghorn in eine
Felswand geprallt und abgestürzt».
Historisches
Äbeniflue von Stechelberg aus.
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Ein strahlender Kranz von hohen Gipfeln umrahmt den
Talabschluss von Lauterbrunnen. Völlig überwältigt verharrt hier der
Wanderer vor einem der gewaltigsten Amphitheater der Alpen. Von Mönch über
Jungfrau, Gletscherhorn, Ebenefluh, Mittaghorn, Grosshorn, Lauterbrunnenbreithorn und
Tschingelhorn bis hinüber zum Gspaltenhorn reiht sich ein allerschönster Berg
an den anderen, und jeder einzelne aus dieser ehrenwerte Runde kann mit einer
grossartigen Nordwand aufwarten. Jede dieser Nordwände wiederum darf sich ganz
besonderer Eigenheiten rühmen, die sie von den anderen unterscheidet und so
für den Bergsteiger verlockend macht. In einigen dominiert der Fels, in anderen
halten sich Fels und Eis die Waage, und einige wenige dürfen als reine
Eiswände gewertet werden. Zu den letzteren gehört die Nordwand der Ebenefluh
mit der wohl bekanntesten Route in der Wandmitte von Mariner-Aschenbrenner aus dem
Jahre 1937. |
- Talort: Lauterbrunnen 816m
- Stützpunkt: Rottalhütte 2755m
- Wandhöhe 750m
- Gipfelhöhe 3960m
- Durchschnittsneigung 55 Grad
- Schwierigkeitsgrad: SS-
Martin Zahn / Bruno Schmid 21./22.04.2007
Umfangreiche Vorbereitung
Von so viel historischem Lob angetan, war die Äbeniflue (Ebenefluh)
schon seit geraumer Zeit ein Wunschziel von Bruno und mir. Bereits letztes Jahr
unternahmen wir an dieser imposanten Eiswand einen ersten Versuch, den
wir aber infolge schlechten Verhältnissen und somit einem «Leider Nein» abbrechen mussten.
Dieses Jahr war der Berg uns dann wohlgesinnt ... die Götter haben uns
erhört.
Unser Route verläuft am rechten Rand der Nordwand, ab ca. Wandmitte blankes Eis.
Den langen Anmarsch von Stechelberg zur Rottalhütte und den ebenso
unendlichen Abstieg via Lötschenlücke ins Lötschental wollten wir dieses
Mal nur noch unter die Füsse nehmen, wenn wir mit grosser Sicherheit wussten, dass
an der Wand gute Verhältnisse herrschten. Denn wie pflegt doch Bruno in seiner
gewohnt humoristischen Art zu sagen: «Hey, latsche, das chöimer it'z de
afa». Ja, nichts desto trotz unternahmen wir während des Winters 2006/2007
gemeinsam mehrere Touren um uns fit zu trimmen in diesem Gelände wie beispielsweise
in unserer Trilogie: Nünenen-Westwand,
Gantrisch-Nordwand und
Ochsen-Ostwand.
Die erste Spur
Der sehr trockene, sonnige und warme April 2007 ist für die Meteorologen
ein weiteres Phänomen der aktuellen Klimaveränderung, für
Bergsteiger präsentierten sich jedoch viele Nordwände in diesem Monat in
einem erstklassigen Zustand. Trotzdem waren wir uns der Sache nicht so sicher wie
letztes Jahr als wir eine Spur in der Wand sichten konnten. Von seinem Wohnort aus
hat Bruno einen guten Einblick in die Äbeniflue, entsprechend oft war das
Fernglas darauf gerichtet.
Bruno in Stechelberg, zu Beginn unseres «Abenteuers».
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Doch Klarheit über die aktuellen Verhältnisse können wir
uns nicht verschaffen. Die Sicht zur Wand ist die meiste Zeit verwehrt und
auch der Hüttenwart der Rottalhütte kann keine Aussagen machen.
Zudem finden wir im Internet keine Angaben über eine erfolgte
Durchsteigung.
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Sind wir also die ersten «Bezwinger», denen die Ehre zukommt die erste
Spur in diesem Jahr in die Wand zu legen? Diese «Ehre» hatten wir letztes
Jahr bei unserem Durchstieg der Blümlisalp
Nordwand. Nachdem wir einen Eintrag unter «Basislager.ch» plaziert hatten, war der
Startentscheid an der Blümlisalp für viele Seilschaften gegeben.
Während Bruno die Sache, die da auf uns zukommen sollte, gelassen genoss
war ich in den Tagen zuvor innerlich sehr nervös. Ich wusste um meine
Stärken und Schwächen, mein Leistungsabfall unter grosser Anstrengung ab
einer Höhe von 3500 m machte mir Sorgen, kann ich noch mithalten?
Auf dem Hüttenweg zur Rottalhütte - ein Erlebnis der besonderen Art
...
Ich weiss, dass mein Leistungszenit längst überschritten ist - mit 53
Jahren, eines Tages wird es mir nicht mehr möglich sein, solch
anforderungsreiche Touren zu unternehmen. Ich war deshalb froh, dass Bruno den
«Lead» der Tour gerne übernahm. Er befindet sich in einer
bemerkenswerten physischen und psychischen Verfassung, wo Kräfte kaum
nachzulassen scheinen und kein Hindernis den Tatendrang hindern können.
Martin, im Aufstieg zur Rottalhütte.
Auf halber Höhe zur Rottalhütte, auf «Stufenstein», an der
Waldgrenze, windet sich der Bergweg an einer kleinen, braungebrannten Hütte
vorbei. Bereits von weitem können wir einige Steinböcke bei der
Hütte erkennen - und in der Hütte ist Leben erwacht. Mit strahlenden
Augen und freundlichen Gesichtern werden wir empfangen und sogleich zu einem Tee
eingeladen, den wir gerne annehmen. Es entwickelt sich ein freundliches
Gespräch, erfüllt mit viel Wärme und Sonne im Herzen. Bettdecken und
Kissen werden an die Sonne gelegt und im Haus knistert das Holz im Ofen, blauer
Rauch entweicht dem Kamin und entschwindet am ebenso stahlblauen Himmel. Welch ein
schöner Moment im Zustieg zur Wand - und jetzt wissen wir es: Wir sind die
Ersten dieses Jahr an der Äbeniflue.
Uns wird mehr und mehr klar: es herrschen exzellente
Verhältnisse in der Wand - das beflügelt, mit Leichtigkeit steigen
wir hoch.
Immer wieder schauen wir zurück, sind wir den wirklich
die Einzigen, die dies erkannt haben - doch es kommt niemand mehr nach.
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Bruno, im letzten Anstieg vor der Rottalhütte bei nahezu aperem Weg.
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Auch letztes Jahr waren wir uns der Sache sicher, zumal damals bereits eine Spur
in der Wand erkennbar war - und dann der Wärmeeinbruch in der Nacht - vorbei
der Traum!
Wirklich, die Poesie unter der historischen Einleitung ist nicht
übertrieben. Ich bin nun bereits das dritte Mal hier oben und erneut
überwältigt mich das alpine Amphitheater, kalt läuft es mir
über den Rücken herunter, wenn ich in «unsere Äbeniflue»
schaue - morgen werde ich also dort oben stehen.
Majestätisch steht sie da, diese Eiswand, das blanke Eis im obersten Teil
glitzert im grellen Sonnenlicht. Steht man frontal zur Wand, erscheint die Wand
senkrecht. Schmale Schneebänder ziehen von oben nach unten und verstärken
dieses Gefühl. Gebannt steht man vor dieser Mächtigkeit und kann es kaum
glauben, dass man da überhaupt hochklettern kann.
Hüttenleben
Nicht nur am Berg läuft Bruno zur absoluten Form auf - auch
als Hüttenkoch entwickelt er Aktivitäten. Während ich mich vor der
Hütte auf die Holzbank lege und in einen kurzen, tiefen Schlaf falle (... man
soll dies von Weitem gehört haben ...) schmilzt Bruno bereits Schnee was das
Zeug hält.
Die Rottalhütte gehört am 21./22.04.2007 ganz uns.
Während es in der heimeligen Küche dampft und raucht
erkunde ich nach meinem kurzen Schlaf die nähere Umgebung. In der Regel
befindet sich das kleine Häuschen für das persönlich Geschäft
immer etwas abseits der Hütte, dies ist auch bei der Rottalhütte nicht
anders.
Offen gebliebene Türe beim kleinen Häuschen und deren Folgen
...
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Während des Winters, wurde die Türe zu besagtem Häuschen nicht
gut verschlossen, der Wind konnte diese wohl öffnen, nun liegt eine
meterhohe Schneedecke auf dem runden Loch.
Ein Abtragen der Schneedecke erfordert von uns heute zuviel Energie, die
wir morgen nötig haben werden - der Sommer wird dies auch schaffen.
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Dass der Frühling auch hier oben früher als in anderen
Jahren Einzug hält, entdecke ich etwas weiter von der Hütte weg. An einem
sonnigen, feuchten Felsen erblicke ich die ersten Alpenblumen auf einer Höhe
von 2700 müM. Mir scheint, dass das Glück dieses Jahr auf unserer Seite
steht, nicht nur die Blumen erfreuen das Herz hier oben, bald entdecke ich noch
andere Glücksbringer ...
Blumenpracht in unmittelbarer Nähe der Rottalhütte.
... gute Seelen haben kleine Steine als Marienkäfer
(«Himmugüeggeli») bemalt und auf die grossen Felsbrocken rund um die
Hütte aufgeklebt. Jetzt kann also wohl kaum mehr etwas schiefgehen, sogar
meine Nervosität hat sich nun etwas gelegt, ich glaube fest an unser
Gelingen.
Ich kann es nicht lassen, Bruno darum zu bitten diesen
Augenblick auf die Kamera zu bannen.
Dass er dabei auch gleich noch in eine andere Rolle
schlüpft wird uns der «richtige»
Hüttenwart wohl schon verzeihen.
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Bruno in seiner neuen Rolle ...
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Mittlerweile ist unser Festmenü zum Geniessen bereit - Bruno
trägt zwei, bis an den Rand gefüllte Tassen, mit fein schmeckender
Steinpilzsuppe an die Sonne vor der Hütte. Dazu gibt es Rauchwurst à la
Stefan von Niederhäusern. Wir lassen es uns hier oben gut gehen, richten ab
und zu das Hüttenfernglas auf die Wand und gehen die Route in Gedanken
nochmals durch, ähnlich einem Bobfahrer, der sich jede Kurve seiner Eisbahn
genau einprägt.
Es wird gekocht was das Zeug hält.
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Bald wird mir klar, weshalb sich Bruno nicht nur am Berg mit
Leichtigkeit bewegt, sondern auch in der Küche seinen Mann
stellt.
Kürzlich hat er seinen letzten militärischen WK in
der Truppenküche absolviert - alles klar - oder nicht?
«Hey Brünu Du bisch de
hie nümme i der Truppechuchi wo hundert Dättle
müsse verpflegt si.»
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Nachdem wir uns die Mägen bis zum geht-nicht-mehr vollgestopft
haben, und sich die Sonne am Horizont verzogen hat, wird das Material
für den folgenden Tag bereitgelegt. Aus meiner Erfahrung weiss
ich, dass man am Morgen keine Zeit mehr hat, seine sieben Sachen zu
ordnen oder zu suchen. Wenn der Moment gekommen ist, geht es Schlag auf
Schlag. Es ist bereits unsere elfte gemeinsame Tour und ich weiss, dass
Bruno am Morgen rasch bereit ist für den «Angriff», also
nochmals ein letzter Check und dann ab ins «Bett», unter die
dicken Militärdecken. Es ist kalt geworden, das ist gut so. Ich
weiss, dass ich wohl nicht viel schlafen kann, die Schuld trägt
nicht nur der in Mengen getrunkene Tee, sondern auch der pochende
Herzschlag auf dieser Höhe und meine - ja, ich bin ehrlich - meine
Angespanntheit.
«Itz ergriffe mer
se»
Nach dem Löschen der Stirnlampen wird es stockdunkel und
totenstill hier oben, draussen am Himmel ist ein kleiner Sichelmond
erkennbar, der einen geheimnisvollen Schatten in die weisse Wand der
Äbeniflue zeichnet.
Exakt um 03:45 schrillt der Wecker auf meinem Mobiltelefon, und ich
stelle fest, dass ich doch etwas eingenickt bin. Gewiss, diese Moment
liebe ich nicht, ich bin kein Frühaufsteher und schon gar kein
Sportler, der früh morgens joggen gehen könnte. Mein
«Motor» braucht eine Aufwärmzeit.
Die Perspektive des Nachsteigers zum Zustieg zur Wand um 04:15.
Das Frühstück ist im Gegensatz zum
gestrigen Nachtessen spartanisch, ein Stück Brot und zwei Tassen
Tee. Der Marschtee ist bereits abgefüllt, wir verriegeln die
Fensterläden, reinigen nochmals kurz die Küche und verlassen
dann unser Refugium. Meist wechseln wir am Morgen vor einer grossen
Tour nur wenige Worte, ich denke, dass sogar nun auch Bruno eine
gewisse Angespanntheit verspürt. Wir nehmen das Seil noch etwas
auf, schnallen die Steigeisen an, ziehen den Klettergurt eng an und
positionieren die Stirnlampe auf dem Helm. Dann wird die
Hüttentüre abgeschlossen und wir tauchen in die Dunkelheit
ab.
Es ist eine pechschwarze Nacht, wir erkennen nicht
einmal die Umrisse der Bergriesen rund um den Rottalkessel, der
Sichelmond hat sich verzogen.
Zuerst steigt man von der Rottalhütte etwa 100 m auf den
Gletscher ab. Ab hier gilt es, Vorsicht zu wahren, das heisst am
gestrecktem Seil zu gehen bzw. zu steigen.
Bruno hat sich den Weg zum Einstieg gut gemerkt, nur einmal
stehen wir vor einer mächtigen Spalte, die wir zum
Glück links umgehen können.
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Unsere «Nabelschnur» auf dem Weg über den
Gletscher zum Einstieg.
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Meine Gedanken schweifen nach Hause, wo Marianne und Mickey nun wohl
auch uns denken und dabei hoffen, dass wir gesund zurückkehren
werden. Sowohl Bruno wie ich sind echte «Heimwehkerle», die
zwar gerne von zu Hause weggehen, aber nicht minder gerne wieder nach
Hause zurückkehren. Wir können es uns nicht vorstellen,
monatelang in einer abgeschiedenen Gegend der Welt ohne Kontakt nach
Hause zu leben. Nach 1½ Stunden kündigt sich der Sonntag 22.
April im Osten an - ganz langsam wird es heller und die Äbeniflue
- unsere Wand, tritt aus der Dunkelheit, der Vorhang öffnet
sich.
Zum Erstaunen entdecken wir plötzlich drei Lichter von
Stirnlampen in der Gegend oberhalb der Hütte, bei der wir gestern
so freundlich aufgenommen wurden. Sind wir doch nicht allein an der
Wand heute? Im Laufe des Durchstieges konnten wir dann jedoch keine
weiteren Personen mehr erkennen.
Mittlerweile ist es hell geworden, so dass wir den Gletscherschrund,
der den Einstieg in die Wand markiert erkennen können. Die
Überwindung gelingt ohne grosse Anstrengung und wir stehen nun
also am Fuss der Wand.
Gerissener Schuhbändel, zuwenig
fest geschnürte Schuhe
Nun kommt die Phase der allerletzten Vorbereitung,
dazu gehört das korrekte Plazieren der Eisschrauben, das
Befestigen der Eisgeräte an den Sicherungen und zu guter Letzt
darf nochmals so richtig gepinkelt werden. Zum Prozedere gehört
auch das Festziehen der Schuhe, da man ab jetzt die meiste Zeit auf den
Frontzacken der Steigeisen steht. Ich ziehe - ein Ruck - und der rechte
Schuhbändel reisst - Shit!
Bruno als Vorsteiger kurz nach dem Einstieg im ersten Tageslicht.
Ich habe zwar ein langes Stück Reepschnur bei
mir, doch dieses ist viel zu dick um durch die Ösen des
Bergschuhes gezogen zu werden. Also binde ich den unteren Teil des
Schuhes mit dem noch verbliebenen Schuhbändel ab und den oberen
Teil, wo ein Einfädeln durch Ösen nicht notwendig ist, kann
ich mit einem Stück Reepschnur festziehen.
Die Wand zu unserer linken Seite (Ost) im unteren Teil - der Tag
erwacht.
Bruno ist derart «griffig», ich fühle seine Energie
förmlich, dass er es vergisst seine Schuhe ordentlich festzuziehen
- mit fatalen Folgen. Nach der Tour verfärben sich die Nägel
der grossen Zehen und ein grosser Schmerz peinigt ihn. Durch das
dauernde ins Eis schlagen mit den Steigeisen Frontzacken, berühren
seine Zehen immer kurz und heftig die vordere Innenwand der Schuhe.
Durch die Kälte merkt man dies vorerst nicht und wenn sich der
Schmerz langsam ankündigt ist es schon zu spät.
Die Wand zu unserer rechten Seite (West) im unteren Teil.
Vertrauen
Es ist das erste Mal, dass wir in einer gemeinsamen Tour, in
anspruchsvollem Gelände, zusammengebunden bleiben. Wortlos und in
innerer Zustimmung gebe ich mein «OK, let's do it». Ich weiss
ganz genau, dass ich als Nachsteiger im Falle eines Sturzes des
Vorsteigers absolut keine Chance habe den Niedergang zu stoppen, ich
würde wie mit einem Bogenschuss in die Wand hinausgeschleudert -
doch ich erkenne, es stimmt für mich - mein Vertrauen in Bruno ist
vollkommen. Wir sind gemeinsam an dieser Wand, also gehen wir auch
gemeinsam wieder aus der Wand.
Bruno, links vom ersten langen Eisband unter dem
Felsbollwerk.
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Der Schnee zum Hochsteigen ist schlicht perfekt - Trittschnee
vom Feinsten. Ich bin ein richtiger «Windschatten
Bergsteiger», kann ich doch bequem die Tritte welche Bruno
in den Schnee drückt benutzen.
Wie im «Liegestuhl» gewinnen wir rasch an Höhe
und in der Tiefe kann ich nun bereits die Rottalhütte
erkennen.
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Wer schon einmal in solch schwierigem Gelände versucht hat eine
Photoreportage zu erstellen, weiss wie anspruchsvoll dies ist.
Während der Partner sich auf den Durchstieg konzentriert und nach
oben «drängt», versuche ich kurz innezuhalten, mich
irgendwie etwas zu sichern (mehr schlecht als recht), die Kamera
hervorzuholen, diese einzuschalten, das Motiv zu fixieren und dann
schliesslich abzudrücken.
Bruno in Wandmitte beim Queren nach links oben.
Profi Photographen wie Thomas Ulrich oder Robert Bösch
beherrschen dieses Metier perfekt, für mich ist es jedoch eine
Herausforderung, ich kann dabei nicht verhindern, Bruno auch mal zu
bremsen - denn sonst stehen wir plötzlich auf dem Gipfel mit einer
leeren Kiste vor meiner Brust.
Wir haben uns dazu entschieden die Wand auf der rechten Seite zu
durchsteigen. Objektiv recht sicher, dafür wohl am
anspruchsvollsten. Im untersten Teil dominieren kurz einige Felsen, wo
man einen Durchschlupf finden muss. Anschliessend geht es in einer
geraden Linie hoch, entlang eines markanten Schnee/Eisbandes das von
oben nach unten verläuft. Man gelangt dann an ein kleineres
Felsbollwerk, das wir besser als erwartet umklettern können.
Vertrauen - ein Seil, zwei Männer, keine Sicherung.
Oberhalb des Felsbollwerks, quert man nun in Richtung
11 Uhr zur Mitte der Wand, und gelangt an den steilsten Teil, den
Übergang von Trittschnee in Blankeis. An dieser Stelle befindet
man sich etwa in halber Höhe. Der obere Teil ist reine
Eiskletterei, man steigt in gerader Linie bis zum Gipfel hoch, wir
benötigten dazu rund 10 Seillängen eines 50 m Seils.
Der Anblick von Bruno, beim konzentrierten Vorstieg
zu beobachten ist absolut phantastisch und beeindruckend. Fast vergesse
ich es auf den Auslöser zu drücken, geschweige denn
Nachzusteigen. Tritt um Tritt entsteht, «unsere Spur»,
als erste im Jahr 2007 - wir sind stolz.
Links schlagen, rechts schlagen, Tritt fassen, höher steigen ...
immer wieder.
Es ist kälter in der Wand als wir angenommen hatten, Bruno
klettert in einer dünnen Daunenjacke und auch ich habe mich dazu
entschieden die Windjacke nicht auszuziehen. Wir können es nicht
verhindern, dass wir mit den Handschuhen dauernd in den Schnee greifen
- mit den entsprechenden Folgen. Man fühlt die unterkühlten
Finger plötzlich nicht mehr, ein taubes Gefühl stellt sich
ein.
Steht man einen kurzen Augenblick still um zu photographieren
passiert es - ein unsäglicher Schmerz in den
Fingern, das Blut schiesst vom erhitzen Körperinnern in die
unterkühlte Peripherie - das «Nageln» ist
kaum auszuhalten. Es trifft uns beide an der gleichen Stelle, wir
krümmen uns vor Schmerzen, und ich zähle langsam von 0 auf
30, nach endlosen Minuten lässt der Schmerz nach. Ich erinnere
mich wieder an eine Aussage meines Freundes Raymond Messerli:
«Z'Bärg gah isch haut nüt
für weichi Eier ...», wie recht
er doch hat in dieser Situation.
Bruno nimmt Anlauf ...
Unsere selbst gebauten Eisgeräte Sicherungen
bewähren sich. Mittels «Kuhschwanz-Aufbinde-Kabel» haben wir beide
Geräte zentral an der Schlaufe des Klettergurtes gesichert. Es
handelt sich dabei um ein hochelastisches Kabel oder Band, das sich
nicht nur zum Aufbinden von Kuhschwänzen eignet, sondern eben auch
als Pickelsicherung.
Ein Verlust eines Eisgerätes wäre hier
fatal, es darf nicht passieren. Da ich auch die Kamera über eine
dünne Reepschnur sichern muss, ist ein
«Sicherungs-Schnur-Salat» früher oder später
vorprogrammiert. Das Entwirren braucht Zeit und ist nervenaufreibend,
gänzlich verhindern kann man es aber kaum.
Bruno in der Wandmitte, vor dem Blankeis am ersten Stand.
Konzentriert schieben wir uns nach oben, die Gedanken und die
Aufmerksamkeit sind auf den Punkt fixiert, den erwachenden Tag nehmen
wir nur im Unterbewusstsein wahr. Je höher wir steigen desto mehr
erkennen wir nun das Blankeis das uns erwartet - der Höhenmesser
zeigt 3600 müM. Meine Atmung hat sich deutlich verschlechtert, die
Sauerstoffzufuhr - das Benzin der Muskeln - tröpfelt nur noch, die
Muskelübersäuerung beginnt, es brennt in den Waden. Nun
nützen auch die Hunderte von Kraftbewegungen auf der Beinpresse
des Fitness-Centers Input nicht mehr viel.
Ich übernehme den Vorstieg beim Übergang ins blanke Eis.
Nachdem der Trittschnee kontinuierlich in blankes Eis übergeht,
ist ein freies Steigen ohne Zwischensicherung nicht mehr zu
verantworten. Bruno dreht die erste Eisschraube ins perfekte Eis - aus
Gewichtsgründen steigen wir «nur» mit sechs Eisschrauben
empor, vier davon brauchen wir als Zwischensicherung für das 50 m
lange Seil, als Stand bleibt also je eine Schraube übrig.
Nach dem ersten Stand steige ich sogleich von unten weiter, zuerst
an Brunos rechter Seite vorbei, dann über ihn hinweg nach links
empor. Obwohl die Neigung hier «bloss» 55º beträgt,
komme ich an den Anschlag, der karge Sauerstoff macht mir zu schaffen,
wir brauchen (zu)viel Zeit. Zudem bin ich nicht in der Lage, grosse
Schraubenabstände zu klettern, so dass ich nach etwa 25 m bereits
mit Eisschrauben «ausgeschossen» bin. Es gelingt mir, unter
grosser Anstrengung, nebst der Sicherungsarbeit noch das obige Photo
von Bruno, das einzige Mal als Nachsteiger, zu schiessen. Mit
unglaublicher Leichtigkeit steigt er zu mir empor - ich bitte ihn, die
Führung zu übernehmen - für ihn ist der Fall klar. Mir
scheint, dass dieser Umstand für ihn mehr Freude darstellt als
Mühsal und ich bin froh darüber. So kann ich mich auch besser
darauf konzentrieren, die Tour zu dokumentieren.
Sorry - ich konnte die Kamera nicht ganz gerade halten, so ist die Wand
hier etwas zu steil.
Ab und zu kann ich mich nun, während ich im
Stand stehe und Bruno sichere, etwas umschauen. Ich erkenne, dass wir
die Höhe des Rottalsattels überstiegen haben, das Ziel, der
Gipfelgrat konnte also nicht mehr unendlich weit weg sein. Schaute ich
jedoch nach oben, so sah ich nichts als Himmel und Eis - und Bruno als
winzigen Punkt über mir. Die gelben Antistoll-Platten unter seinen
Steigeisen markierten den einzigen anders farbigen Punkt als das Blau
und Schwarz der Wand.
Schauspiel der besonderen Art
Einen Sportler in Hochform zu erleben ist immer
wieder ein beeindruckendes Ereignis. Was ich jedoch hier in dieser
schiefen Ebene an Energie vordoziert bekam, übertraf doch vieles
was ich bis jetzt gesehen hatte. Da stand ein junger Zimmermann, 50 m
über mir und hackte Eis aus der Wand, als würde er irgendwo
auf einem niedlichen Gartenhäuschen stehen und einen Ziegel
reparieren. Das Eis splitterte wie die Funken eines Zuckerstockes am
Nationalfeiertag in alle Richtungen - Mensch, diese Energie möchte
ich haben. Tja, so ist das nun mal, ich jedenfalls war sehr froh, dass
Bruno im strengsten Teil der Route so viel Kraft und Psyche besass um
Seillänge um Seillänge nach oben zu führen.
Eis, Himmel, Bruno ...
Nach acht Seillängen konnte ich den nahenden Gipfel langsam
erahnen. Ein Blick zur Seite nach rechts, zeigte auch deutlich an, dass
das Felsband oben ausläuft und in den Gipfelgrat übergeht.
Noch zwei oder drei Seillängen? - am Stand schauten wir uns nur
kurz in die Augen - alles OK?, die Aufmerksamkeit gilt an dieser Stelle
der Übergabe des Materials, das ich «eingesammelt»
hatte. Nun bitte auf keinen Fall mehr etwas verlieren!
Mit Erleichterung, stellen wir fest, dass sich
im oberen Teil doch noch etwas Trittschnee abgelagert hatte.
Dies erleichtert das Steigen sofort und man
kann es sich erlauben auch einmal kurz etwas seitlich anzutreten
um die brennende Wadenmuskulatur zu entspannen.
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Stand mit Eisschraube und zusätzlicher Pickelsicherung.
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Das Eis ist vom Beginn bis zum Gipfelgrat extrem hart
und spröde. Meistens muss der Vorsteiger zwei bis drei Mal mit
aller Kraft nachschlagen um einen sichern Halt zu formen. Dies
erfordert viel Energie und man kann nicht verhindern, dass sich auch
ganze Eisplatten lösen und donnernd in die Tiefe stürzen. Es
ist somit sehr wichtig, dass der Vorsteiger immer versetzt einmal nach
links dann wieder nach rechts hochsteigt. Eisbrocken aus einer
Höhe von 50 m wirken wie Geschosse und können den Nachsteiger
erheblich verletzen.
Eisbahn in der Äbeniflue.
Die ausgedehnte Eiswand im oberen Teil ist
beeindruckend und mit einer geneigten Kunsteisbahn zu vergleichen. Das
Eis ist sehr kompakt verbunden und mit einer glatten Oberfläche
ausgestattet. Der Felsriegel auf der rechten Seite dient als
Höhenorientierung.
Der Blick nach unten in 600 m Tiefe wirkt aus dieser Perspektive
berauschend, man steht auf je zwei kleinen Stahlzacken der Steigeisen
in dieser «Eiswüste» und «geniesst» die Luft
unter dem Hintern. Trotzdem, ein gutes Nervenkostüm ist von
Vorteil um ruhig zu bleiben und konzentriert zu arbeiten. Der
Denkapparat des Menschen stellt in solchen Situationen automatisch auf
«Einbahnbetrieb» um, das heisst, das Gehirn kann kaum mehr
andere Einflüsse wahrnehmen, geschweige denn verarbeiten. Man hat
den «Tunnelblick», wo das Ende des Tunnels den Gipfel
markiert, alles andere interessiert nicht.
Der Blick in die Tiefe - ein gutes Nervenkostüm ist gefragt.
Bruno ermuntert mich und klopft seine Sprüche, als wäre er
auf einer Geburtstagsparty. Sobald ich nach fünf Metern ausgepumpt
mit rasendem Atem und brennenden Waden einen kurzen Halt einlege, geht
es sofort wieder besser. Zum Glück kann ich mich rasch erholen,
ein Zeichen dafür, dass ich nicht eigentlich kaputt bin, sondern
der fehlende Sauerstoff mich bremst.
Bruno in der zweitletzten Seillänge.
«Hey Tinu, super, chum no chli, äs geit nume no zwo
Seillängine» - Aufmunternde Worte wirken Wunder, nicht nur am
Berg. Hast oder Aggressivität können ein solches Unterfangen
in eine schwierige Lage treiben, ja sogar Freundschaften könnten
dabei zerbrechen. Es ist eine alte Erkenntnis, dass unter Stress
vermehrt Fehler auftreten. Deshalb ist es wichtig, dass gerade in
solchen Phasen der Erschöpfung konsequent, ruhig und speditiv
miteinander und nicht gegeneinander gearbeitet wird. Wir stehen ja
unter keinem Zeitdruck, ob wir nun ½ Stunde früher oder
später auf dem Gipfel ankommen interessiert nicht - wichtig ist,
dass wir ankommen. Die letzten hundert Meter der Wand sind jedenfalls
ein Paradebeispiel der guten, Hand in Hand, Zusammenarbeit.
Der Gipfelgrat kommt näher.
Die zwei gut erkennbaren Felsen am Gipfelgrat sind
nun deutlich erkennbar, jetzt ist der Gipfel greifbar und ein
Glücksgefühl überströmt mich. Das Leiden im
obersten Teil dieser Wand hat ein Ende, jetzt mobilisiere ich
sämtliche Kräfte und steige zu Bruno, am letzten Stand, hoch.
Er steht bereits nahezu am Gipfelgrat, mit voller Kraft ziehe ich an
ihm vorbei, raus aus dieser Wand und an die Sonne. Ein letzter Blick
zurück ins Eismeer, wo sich mein eigener Schatten deutlich abhebt
- dann stehe ich an der Sonne auf dem Gipfelgrat - unsere Spur ist
gelegt.
Ein letzter Blick zurück ins Eismeer der Äbeniflue.
Bruno steigt nun ebenfalls aus der Wand aber ohne
gleich in einen Freudentaumel zu fallen. So stehen wir hier oben, auf
dem Gipfel der Äbeniflue und können unser Glück noch gar
nicht richtig wahrnehmen. Ich bin erschöpft und kann keinen
«Pips» von mir geben, innerlich überströmt
mich aber ein Glücksgefühl - wir haben es geschafft - um die
Mittagszeit des 22. April 2007 haben wir ein gemeinsames Ziel erreicht,
das wir uns lange gewünscht haben.
Wir stehen auf dem Gipfel, Bruno und ...
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Es braucht etwas Zeit und Besinnung, wohl auch
bei Bruno, um diesen ergreifenden Moment zu verarbeiten.
Er macht sich wohl auch etwas Sorgen um meinen
Zustand, ihm ist es nicht entgangen, dass ich kämpfen
musste.
Doch die Tour ist hier noch nicht beendet, es
steht noch ein langer Abstieg bis nach Fafleralp vor uns.
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Doch ich kenne mich gut genug und weiss, dass
ich nach dem Erreichen eines Ziels noch viele Kräfte
mobilisieren kann.
So gesehen macht mir der lange Abstieg keine
Sorgen, zudem nimmt mit jedem Schritt nach unten der
Sauerstoffgehalt der Luft zu und es geht besser und besser.
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... ich, etwas geschafft aber nicht minder stolz.
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Die Sonne brennt hier oben mit aller Kraft und es ist alles weiss in
weiss. Gleissendes Licht umgibt uns und ohne Sonnenbrille wäre man
hier in kurzer Zeit schneeblind. Nur kurz erlaube ich mir einen Blick
ohne schützendes Dunkel vor den Augen, es ist nicht auszuhalten.
Die Äbeniflue, auf der Rückseite der Eiswand, ein lieblicher
Berg, sanfte Hänge schmiegen sich an den Gipfel. Es ist das Gebiet
der Tourenskifahrer, die von der Hollandiahütte hochsteigen. Man
könnte die Äbeniflue auch mit einem schief gestellten
90° Winkel vergleichen.
Blick von unserem Abstieg in Richtung Hollandiahütte, mit dem
Konkordiaplatz im Hintergrund.
Am langen Seil und ohne viele Worte steigen wir rasch
ab, ich erhole mich mit jedem Schritt. Für mich ist das stille
nach unten Wandern ein Geniessen und reine Meditation, öfters
schliesse ich die Augen und hole tief Luft, meine Lungen füllen
sich und erwachen zu neuem Leben. Viel besser als erwartet
präsentiert sich der Abstieg, die Unterlage ist noch
tragfähig, so dass wir die Hollandiahütte viel rascher als
erwartet ohne Schneeschuhe erreichen.
Auf der Lötschenlücke herrscht Hochbetrieb,
viele Tourenskifahrer nützen das schöne Wetter und
profitieren vom interessanten Rundreiseangebot der Jungfraubahnen. Wir
werden wohl still von vielen bemitleidet, dass wir nun doch etwas
mühsam durch den sulzigen Schnee in Richtung Lötschental
taumeln müssen. Doch, kaum einer weiss um unser Kapital - der
Besteigung der Äbeniflue Nordwand!
Blick nach Fafleralp im Lötschental - noch steht uns ein langer
Rückweg bevor.
Um 17:00 Uhr erreichen wir die Fafleralp, ich bin
zwar müde aber wieder ganz wohlauf. Der Marsch war lang, aber
keineswegs zermürbend, natürlich auch dank den Schneeschuhen,
die ein gänzliches Einsinken weitgehend verhinderten. Je tiefer
wir stiegen desto mehr nahm auch die Hitze zu, verschwitzt erreichen
wir den Parkplatz bei der Fafleralp.
Eine beeindruckende, grosse Tour ist damit
abgeschlossen, ein Ziel erreicht, Bruno ich danke Dir - Merci!
Oberdiessbach, 04.05.2007 - Martin Zahn
Photogallerie - Ebenefluh Nordwand, April
2007
(Achtung - Photos sind
1-2 MB gross)
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